Steinhuder Schokolade
„Steinhuder Schokolade aus der ältesten deutschen Schokoladenfabrik, gegr. 1765. Hier zu haben.“ So warb bis 1951 ein Schild am Haus Am Anger 6, in dem sich auch das Gasthaus „Zur Linde“ befand. In Meyers Lexikon von 1920 steht geschrieben: „…die erste Schokoladenfabrik wurde 1756 in Steinhude von Fürst Wilhelm von der Lippe errichtet“. Diese Jahreszahl, verbunden mit dem Namen des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe, wird auch später immer wieder genannt. Der Graf soll nach seinem Portugal-Feldzug unter der Leitung portugiesischer Fachleute zu Steinhude eine „Fürstlich schaumburg-lippische Hof-Schokoladenfabrik“ gegründet haben.
Eine Eintragung im Das Beerdigungsregister von 1752 berichtet jedoch vom Tode eines 74jährigen Johann Henrich Schwabe, Schokoladenmacher und ehemaliger Bürgermeister. Hiernach hat der Bürgermeister Schwabe, der Anfang des 18. Jahrhundert 20 Jahre in England lebte, wahrscheinlich schon seit etwa 1725 die Schokoladenmacherei (oder auch Kakaobereitung?) – wohl im „Handbetrieb“- in Steinhude ausgeübt. 1753 starb sein Sohn Henrich Schwabe, Schokoladenmacher mit 34 Jahren an Schwindsucht. Seine Frau Philippine Margarethe heiratete noch im gleichen Jahr den Schiffszimmermann und Leibschiffer Christian Meineke aus Mecklenburg. Sie übten beide die Schokoladenmacherei weiter erfolgreich aus.
1765 erteilte Graf Wilhelm der „Schokoladenfabrik“ eine Realkonzession. Meineke wurde Bürgermeister, fiel aber während des siebenjährigen Krieges, als sich der Graf in Portugal befand, in Ungnade, als er sich der Aufforderung, sich mit den Steinhuder Bürgern an den Arbeiten zur Errichtung des Wilhelmsteins zu beteiligen, widersetzte. Zwischen 1775 und 1780 nahm Meineke das Angebot des Landgrafen von Hessen-Kassel zur Errichtung einer Schokoladenfabrik in Kassel an und übergab die Schokoladenfabrikation in Steinhude seinem ältesten Sohn Carl, den Begründer der Firma C. Meinecke. Man vermutet, dass Meineke, wegen seines Ungehorsams vom Grafen „abgemeiert“ (Recht der Schokoladenmacherei aberkannt) worden war und deshalb nach Kassel ging.
1815 stand in den „Hannoverschen Anzeigen“ zu lesen: „Carl Meinecke ersucht diejenigen Herrschaften, welche Lustreisen nach dem Steinhuder Meer machen wollen, bei ihm abzutreten. Sie können jederzeit bei Chokolade, Kaffee und auf Bestellung warmes Essen bekommen. Auch ist die schon lange bekannte echte Steinhuder Chokolade zu haben bei der Witwe Meineke in der Ostersraße in Hannover.
1841 übernimmt Carls Sohn die Schokladenfabrik. 1881 gewinnt Meineke bei der ersten Lippischen Gewerbeausstellung eine Bronzemedaille. Im Katalog seiner mitgebrachten Produkte führt er auf: „6 Pfd. Malz-, & 6 Pfd. Cacao-, & 6 Pfd. Gewürz- Chocolade in weißem Glanzpapier, 6 Pfd. Pastillen, entölter Cacao ,“ und berichtet stolz, seine Schokolade bis nach Italien zu liefern. Er beschäftigte zu der Zeit drei Arbeiter.
Anfangs wurde die Schokolade in flüssiger Form verabreicht, „Zur Linde“ war also damals – bis 1927 – eine Kakaostube, diese befand sich rechts neben der Gaststube, dahinter gab es noch einen Raum für adelige Besucher. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts erreichte die Steinhuder Schokoladenproduktion ihren Höhepunkt. Maschinen wurden angeschafft und neue Formen eingeführt. Vor 1900 wurden Mischer und Walzen der Schokoladenfabrik noch mit einem Göpel, den Pferde in Bewegung setzten, angetrieben. Später fand ein Petroleummotor Verwendung, etwa ab 1912 ein Elektromotor, der elektrische Strom kam von der Lederfabrik Seegers. Die Kakaobohnen wurden erhitzt. Nachdem die Hülle entfernt war, zerkleinerte man den Kakaokern. Das Kakaomehl wurde ausgepresst, das Fett wurde teilweise der besseren und teureren Schokolade zugesetzt. Die billigere Schokolade enthielt weniger Fett, deshalb war sie sehr hart.
1905 bietet Meinecke, Hoflieferant Sr. Durchlaucht des Fürsten zu Schaumburg Lippe, in einem Prospekt des Verschönerungsvereins Steinhuder Schokolade in verschiedenen Preislagen und Packungen und den Ausschank von Schokolade in seinem Restaurant an. Neben Talern und kleinen Tafeln, auch mal ein Tier in Hohlform. Aber das bekannteste und wegen seines hohen Kakaoanteils weit geschätzte Produkt blieb die Steinhuder Rolle. 10 Taler zu je 25 Gramm waren mit einer Papiermanschette mit Goldaufdruck zum „Halb-Pfund-Paket“ zusammengerollt.
Karl Meinecke fabrizierte bis 1914. Er hatte drei Töchter, die Älteste heiratete Franz Seegers. Dieser nahm nach dem ersten Weltkrieg, als wieder Rohmaterial (Kakao) zu haben war, die Produktion neu auf. Jetzt wurde auch Abführschokolade für Dr. Haie in Bückeburg hergestellt. 1928/29 wurde die Schokoladenfabrikation eingestellt, später aber wieder aufgenommen. Auf Drängen der großen Schokoladenfabrik und der Berufsgruppen und im Zuge der Zusammenlegungen vor dem zweiten Weltkrieg, wurde der Betrieb 1939 erneut stillgelegt. Der Sohn von Carls Schwester Anna – Gerhard Fehrmann – nahm 1948, aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, die Fabrikation noch einmal auf.
Nach einer Rohstoffteuerung und einem Brand der Scheune, in der Verpackungsmaterial für 14000 Mark lagerte, erfolgte 1951 die endgültige Stilllegung, obwohl 35 Mitarbeiterinnen in mehreren Schichten, damals für 60 Pfennig die Stunde, in der Fabrik tätig waren. Entscheidend für den Ruin war auch die Ausweitung der Produktion auf Artikel zur Oster-und Weihnachtszeit. Die moderne Industrie konnte weitaus billiger produzieren.
Die in dem oben abgebildeten Haus hergestellte Schokolade wurde auch in anderen Steinhuder Lokalen und an Kiosken, aber auch in Stadthagen bei „Cafe Möhling“ verkauft. Mitte der 50er Jahre bis 1974 stellte Bäcker und Konditor Dornbusch noch einmal eigene Schokolade her, teils in den alten Orginalformen.
Buchquelle:
„Steinhude …bevor die Fremden kamen“ von Rudi Diersche